Tipps zur Betriebsübernahme meinerseits:
- Sich rechtzeitig mit dem Thema beschäftigen (es heißt üblicherweise ab Mitte 50) – beide Parteien (Übergebender UND Übernehmer) müssen dies tun. Ich weiß noch, es gab in Trier eine Veranstaltung der dortigen HWK zum Thema: „Nach mir die Sintflut“. Ich wollte meinen Vater mitnehmen, er meinte nur: „was soll ich denn da?“. Nun liegt es an uns zu überlegen, wie es nach uns weitergeht!
- Angebotene Unterstützung und Informationsangebote annehmen: HWK-, IHK- sowie Innungsangebote.
- Ich kenne eine Coachin, die sich auf Familienunternehmen und Übergabethemen spezialisiert hat: Frau Cornelia Hildebrandt aus Asbach-Hähnlein bei Darmstadt (https://lebendiges-management.de). Damals hatte ich in Kiel bei einer Veranstaltung für Frauen auch eine Dame kennengelernt, die eine solche Dienstleistung anbot und dachte mir: wozu braucht man so Jemanden?
- Austausch mit Unternehmerkollegen diesbezüglich – Themen, die einen bewegen, ansprechen!
- Einen guten Umgang mit der abgebenden Generation pflegen: diese noch einbinden, sofern sie nicht gleich ganz aussteigen möchten (z.B. Berater bei komplexen Fragestellungen oder Projekten wie in unserem Fall Schwimmbadbau oder eine konkrete Aufgabe übertragen wie z.B. in unserem Fall die Lagersortierung). Somit fühlen sie sich nicht von heute auf morgen überflüssig. Es muss jedoch ganz klar sein (auch den Mitarbeitern gegenüber), wer das Sagen hat.
- Die Mitarbeiter frühzeitig informieren. Regelmäßig von Anfang an Mitarbeiter-Sitzungen abhalten und sie in die Veränderungen miteinbinden.
- Herausforderungen annehmen und lösen, dabei seinem Herzen folgen!
Im Rahmen der Messe DACH + HOLZ 2024 in Stuttgart hatte ich die Gelegenheit an einer Diskussionsrunde zum Thema „Betriebsübernahme“ teilzunehmen. Diese erfolgte bei uns Anfang 2010, als unser Vater sein Fliesenfachgeschäft mit Verlegebetrieb an uns zwei, seine beiden Töchter, in der 4. Generation übergab. In der Diskussionsrunde: Stephan Pöschl, Geschäftsführer der Pöschl Zimmerei & Holzbau GmbH, Madeleine Peterson-Oster, Geschäftsführerin der Oster Dach + Holzbau GmbH, Jennifer Konsek, Dachdeckermeisterin bei der Firma Die Dachlatte. Moderation: Henriette Kühnel von der Rudolf Müller Mediengruppe.
In welcher Form hat für mich die Betriebsübernahme eine Rolle gespielt?
Sie hat für mich eine wichtige Rolle gespielt, denn ich bin auf diese Art und Weise dort gelandet, wo ich hingehöre. Meine elterlichen Wurzeln liegen in der Fliesenbranche, wir sind inmitten von Fliesen und Naturstein aufgewachsen. Als Angestellte habe ich in 16 Jahren nie ein Dankeschön für meine engagierte Arbeit erhalten. Selbständiges Arbeiten und selbständig Entscheidungen auf kurzem Wege treffen sowie die Freiheit zu haben, Dinge zu verwirklichen, die einem wichtig sind, klangen verlockend. Im Nachhinein muss ich sagen, wenn ich jedoch gewusst hätte, wie schwierig so ein Übergabeprozess sein kann, hätte ich es mir vielleicht anders überlegt!
Wie kam es zur Betriebsübernahme? War diese geplant oder durch äußere Umstände beeinflusst?
Geplant war die Betriebsübernahme nicht. Meine Schwester Anja war nach dem Studium direkt in den elterlichen Betrieb eingestiegen, konnte die Firma aber alleine aus zeitlichen und familiären Gründen nicht übernehmen; ich war zu dem Zeitpunkt unzufrieden in einer Anstellung in Hamburg und sowieso dabei zu wechseln. Mein Schwager sprach mich an: „Es wäre doch schön, wenn Du mit Deiner Schwester den elterlichen Betrieb fortführen würdest“. Meine spontane Antwort: „Eine Ehre, dass Du mich fragst, aber das muss aus eigener und tiefster Überzeugung kommen!“ Nach einer kurzen Bedenkzeit schlugen wir am Vorabend meines 40. Geburtstags unser Konzept unseren Eltern vor. Die Alternative wäre gewesen einen neuen Arbeitgeber zu suchen.
Wie habe ich die Betriebsübernahme vorbereitet?
Als Dipl.-Betriebswirtin (FH) war ich in der Theorie sattelfest, so dass meine Schwester Anja und ich ohne teure externe Hilfe ein 20-seitiges „Gründungskonzept“ ausarbeiten konnten. Unterstützung erhielten wir durch einen Firmenberater der HWK Koblenz/Herrstein.
Welche Aspekte gab es dabei zu beachten?
- Steuerthemen (die richtige Unternehmensform für uns?) und Notarielles, das einige Zeit in Anspruch nahm.
- Der Schritt der Eltern von der bisherigen Alleinentscheidung in die zweite Reihe war nicht immer einfach.
- Unsere Kommunikation mit den Mitarbeitern war eine andere, sie wurden mehr gefordert und mussten oftmals selbst Entscheidungen treffen.
Gab es Reibungspunkte?
- Das Aktzeptiertwerden von den Mitarbeitern, die uns zum Teil seit Kindesalter kannten.
- Das Loslassen fiel unserem Vater schwer; auch unsere Mitarbeiter waren es gewöhnt, nach den Instruktionen unseres Vaters zu handeln.
- Das Lösen unserer Mama, die die Buchhaltung und Büroarbeit all die Jahre als wichtige Stütze unseres Vaters innehatte.
- Modernisierungsmaßnahmen. Alles Neue und Unbekannte wurde ungern angenommen.
- Das Verlegen der Ladezeiten von früh morgens vor der Arbeit auf nach der Arbeit, weil das für uns den Vorteil hatte, Fragestellungen zu klären, auf die wir anfangs noch keine Antworten hatten
- Mit der eigenen Familie (Anjas Kinder waren noch klein und mussten aufgrund der 150-km-weiten Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle öfters auf ihre Mama verzichten).
- Ich lebte viele Jahre anderswo und dann auf dem elterlichen Gelände. Schwer zu trennen: privat von beruflich.
Wie hat unsere Belegschaft reagiert?
Diese war froh, so glaube ich, dass es mit der Firma weiterging. Unser Vater war kurz zuvor dabei gewesen den Betrieb zu schließen, bevor wir uns entschieden, einzusteigen. Langjährige Mitarbeiter waren wenig aufgeschlossen für Neues und hielten sich an unseren Vater (der natürlich aufgrund seiner Erfahrung auf Alles eine Antwort hatte). Er führte sogar noch in unserer Zeit ein Mitarbeiter-Einstellungsgespräch, worüber wir anfangs irritiert waren. Hinterher waren wir dankbar, dass er ihn so gut eingeschätzt hat. Wir haben Mitarbeiter-Austausch-Runden eingeführt (mit Snacks/Getränken), wie ich es von anderen Firmen kannte. Diese fanden wenig Interesse.
Gab es Reaktionen auf Kundenseite? Wenn ja, welche?
Wir erhielten noch lange Anrufe wie: „is de Chef (männlich!) do?“. Unser Vater war in der Branche sehr bekannt, engagiert (HWK, Innung, BDB) und hatte entweder immer eine Fliese oder eine Antwort direkt parat. An seiner Person hing damals alles. Anja wurde auf den Baustellen als Frau einigermaßen akzeptiert, anders als noch vor Jahren. Als ich 1987-1989 zuhause eine Ausbildung zur Bürokauffrau machte, standen noch die Bierkisten im Pausenraum der Baustelle und es war keine Frau zu sehen!
Gab es besonders schöne Momente oder Erfahrungen in diesem Kontext?
- Der neue, junge und motivierte Mitarbeiter zog mit uns an einem Strang.
- Jahre später haben wir verstanden, dass unser Vater es damals in bestimmten Situationen vermutlich nur gut meinte.
- Heute sind beide Eltern auf uns und das Erreichte stolz.
- Dass Herausforderungen einer Betriebsübernahme zu meistern sind und uns gestärkt haben!
Welche Schwierigkeiten oder Herausforderungen kamen in diesem Zusammenhang auf?
- Das Loslösen der Eltern, v.a. des Vaters war die schwierigste Herausforderung und die Gewinnung der Mitarbeiter auf unsere Seite.
- Die lange Anfahrt (150 km aus Darmstadt bzw. 100 km aus Wiesbaden), d.h. nicht täglich vor Ort sein können.
- Der Spagat zwischen Familie & Firma bzw. zwischen geschäftlich und privat.
- Jährlicher Umsatzrückgang im Hunsrück! Viele Firmen stürzten sich auf wenige Neubauten/Renovierungsarbeiten. Was tun?
Wie sind wir diesen begegnet?
- Loslösen? Ich bin aufgrund der Enge zwischen privat und beruflich nach Wiesbaden gezogen. Auf der 100 km-langen Fahrt konnte ich abschalten. Im Mai 2014 eröffneten wir unseren Showroom „FADEL_RAUMIDEE“ in Darmstadt, dort wo meine Schwester mit ihrer Familie seit dem Studium wohnte; 2017 schlossen wir – schweren Herzens – unseren Ursprungsstandort Idar-Oberstein. Seither ist meine Schwester in 15 Minuten auf der Arbeit per Rad.
- Umsatzrückgang? Von 2013 bis 2017 führten wir die beiden Standorte parallel. Erst nachdem die Entscheidung gefallen war, dass wir den Ursprungsstandort schließen, konnten doppelte Kosten und viel Zeit gespart werden. Daraufhin wurden auch die Zahlen rosiger und wir konnten konzentriert einen Standort bearbeiten!
Welche Veränderungen und Effekte sehe ich?
Wir Schwestern, die wir uns auch schon früher gut verstanden haben, sind durch diese Herausforderungen noch näher zusammengerückt; wir mussten an einem Strang ziehen, um vorwärts zu kommen.
Für unsere Mitarbeiter war die Situation sicherlich auch nicht leicht – zwischen zwei Generationen zu stehen, mit zweien arbeiten zu müssen und ab 2013 zwischen zwei Standorten mit viel Fahrerei und Stau ins Rhein-Main-Gebiet zu pendeln. Unsere Mitarbeiter wurden anders gefordert, selbständiger/freier/eigenverantwortlicher zu handeln. Manch einem hat das sicherlich auch gutgetan.
Heute verstehen wir uns mit unseren Eltern (wieder) prima; sie wissen um die heutigen, anderen Herausforderungen, stehen uns zur Seite, wo sie können und sind stolz (wie sich erneut am 10-jährigen Jubiläum am Standort Darmstadt gezeigt hat). Erst mit der Standortverlagerung nach Darmstadt konnte unser Vater sich offensichtlich zurückziehen. Er stand und steht für knifflige Fragen als unser Ansprechpartner immer noch zur Verfügung.
Wirtschaftlich hatten wir am alten Standort aufgrund des Wettbewerbs und weniger Bauprojekte wenig Chancen; zwei Standorte haben aufgrund fast doppelter Kosten dies nicht wirklich verbessert. Erst mit der Entscheidung den ehemaligen Standort nach 88 Jahren aufzugeben, wurden die Zahlen besser. Unsere Idee einen Mitarbeiter in Idar-Oberstein als „Vorarbeiter“ in die Verantwortung zu nehmen, um den Standort zu erhalten und gleichzeitig Darmstadt aufzubauen, kam leider aufgrund seiner Absage nicht zum Tragen.
Wie würde ich diese bewerten?
In der Anfangssituation waren wir sicherlich oft überfordert und unerfahren (auch im Umgang mit den Mitarbeitern und Eltern), haben aber – von heute aus betrachtet – doch Vieles richtig gemacht. Die Firma gibt es weiterhin (unter FADEL_RAUMIDEE GmbH & Co. KG), auch wenn die Mitarbeiter nicht mit umgezogen sind, was wir gut verstehen können. Ein langer, steiniger, letztendlich positiver Weg, der uns insgesamt gestärkt hat.